German Metal

von Peter Sorry

„Vollgas, Schumi“, röhrt Müller I in Frontman-Attitüde und furzt.

Er meint das nicht so. Für ihn gleicht der Dienst hier einer amüsanten Zeitschleife in einem alten Rialto Film. Der StUffz am Lenksystem lässt den V6-Motor unbeirrt  Dieselschwaden in den kühlen Morgendunst pusten, während Oberfeldwebel Brenner kartenkundig bereits erste Instruktionen über Bordfunk erteilt.

 

„Reine Routine, Männer“, brieft er uns, den alle hinter seinem Rücken Kara Ben Nemsi nennen, vermutlich sogar die Taliban. „Wir starten Punkt Achthundert zu einer einfachen Stadtrundfahrt ohne Sicherungsobjekt, und zwar am Olympiastadion vorbei mit Destination Camp Warehouse. Ölauge, steck dein Handy weg und richte das Rohr tiefer! Das vom A5 natürlich…“ Der Kommandant erlaubt sich gern mal einen Spaß, das macht ihn menschlich. Ölauges Handy gleitet vorübergehend in die Beintasche. Der Richtschütze simmst seiner Freundin in jeder Lage, selbst im Gefechtszustand. An jedem Finger eine.

 

„Fertig mit Träumen, Müller II?“ Müller I tritt gegen meine Munkiste und lässt mich an seiner Nikotinfahne teilhaben. Miesepetrig, seit ihm zuhause die Frau weggelaufen ist. Am liebsten würde er den ganzen Tag Heavy Metal hören. Burn, Motherfucker, burn. Wir laden die Waffen durch und gehen auf Außenbeobachtung.

 

Mit gewohnter Steigerung brummt der Marder vom Hof auf die Straßen Kabuls. Das quirlige Gehupe des Chaosverkehrs kann uns nichts anhaben. Frisch gummierte Gleitketten rattern mit 60 km/h über die Staubpiste, vorbei an den im Smog flatternden Zeltbahnen der afghanischen Armeeschule und frisch uniformierten Sicherheitskräften vor Ort. Auf der Straßenseite gegenüber ein vermummtes Grüppchen Frauen mit Kopfkörben vor Hindukusch-Panorama. Müller I stösst mir in die Rippen und grinst. Kabul-TV nennt er das. Er ist der Milanschütze und ich sein Ladesklave. Falls wir nicht gerade aufsitzen, putzen wir den Panzer wie die Schwulen.

 

„Achtet mal auf die Anhöhe hinterm Stadion!“ übertönt Brenners sonore Kopfhörerstimme den Diesel. „Nachts neuerdings Blendversuche mit Laserstrahlen durch eingesickerte Taliban. Fast wie am Frankfurter Flughafen.“

Vor uns ein klappriger LKW, der ohne Blinker abbiegt, als Ölauge spielerisch die BMK 20 aufrichtet. Wir schlucken Pistenstaub, nur Schumi zieht sich das pinke Halstuch vors Gesicht, angeblich der Slip einer Bauchtänzerin, die im Auftrag der Taliban durch die Lager tingelte.

Kara Ben Nemsi wischt Sandkörner von seiner Sonnenbrille und bemüht sich, mit behandschuhten Händen die Einsatzkarte zu glätten. Einen Moment nicht aufgepasst. Dabei gilt er als größter FAZ-Leser am Standort.

 

Die Beschilderung zeigt Richtung Taimani-Road und Share-Now-Park.

KBN kratzt sich am Funkhelm. Offenbar wird das GPS wieder gejammt. Schumi kriegt Weisung, zuckt die Schultern, wir biegen rechts ab. Mitten in ein belebtes Straßenviertel voller Händler, Kinder, Kriegsversehrte.

Der Marder wird langsamer, ist aber immer noch zu laut. Auch abseits der Route scheint sich die Begeisterung für unser Auftauchen in Grenzen zu halten. Einen Steinwurf vom Turm zeigen uns verwahrloste Minderjährige ihre Stinkfinger. Wenn schon Demokraten sowas vormachen, bleibt uns keine Wahl.

Auf KBNs Nicken hin lade ich die Nebelmittelwurfanlage mit einer Handvoll Bonbons. Wir nennen sie auch „Bakschisch-Kanone“. Müller I darf sie auslösen. Sobald den Kids die Kamelle um die Ohren fliegen, geht die Balgerei los, und wir rasseln weiter.

 

KBN will zweimal links, um wieder zur Mainroad zu stoßen. Aber die Gassen sind verteufelt eng und voll von wiederkäuendem Eselspack. Schumi nimmt die Hände vom Lenksystem und schüttelt seine verbeulte Stirn.

„Müller II, ausrücken und an der Milchbar nach dem Weg fragen!“ befiehlt  KBN über Bordfunk. Von Müller I gesichert checke ich aus. Meine Stiefel berühren afghanischen Boden.

 Die Milchbar entpuppt sich als angeleinte Ziege, die ein zahnloser Greis seelenruhig an seinem Sakkoärmel fressen lässt. Er versteht kein Englisch. Als ich ihn auf Deutsch frage, zeigt er zwei Finger und deutet in Fahrtrichtung links. Eine Kinderhorde heftet sich an meine Beine, bis Müller I die Bakschischkanone auslöst. Mit knapper Not zwänge ich mich in den Panzer. „Zweite links“, sage ich, und dann: „Verdammt, die haben mir eine Handgranate geklaut!“

KBN flucht und befiehlt Abmarsch, „bevor sie uns das Ding unterm Arsch zünden“.

„Zweite links?“ fragt Schumi und drückt den Gang rein.

„Sind doch nur Kinder!“ sagt Ölauge, während Wurfgeschosse von Flachdächern auf den Panzer prasseln.

„Ja, Zweite links. Wenn der Ziegentreiber nicht gelogen hat.“

„Müller II“, sagt der Kommandant. „Deine Scheiß Handgranate löst  wieder einen Papierkrieg aus.“

 

An der Zweiten links erwartet uns eine Überraschung. Zwischen zugenagelten Hausruinen eine verwaiste Kaschemme mit Schriftzug „Deutscher Hof“. Die in Paschtu überkritzelten Pommes-mit-Bratwurst-Abbildungen hinter vergitterten Fenstern wirken noch deprimierender als in der Heimat. „Hände vom Rohr“, mahnt KBN. „Alles Veganer hier. Schumi, gib Stoff!“

 

„Herr Oberfeld, ich muss austreten!“ meldet Müller I.

„Verkneifen“, lehnt KBN ab. „Weder Wald noch Friedhof in Sicht.“

„Das verdammte Red Bull treibt aber“, jammert der Hauptgefreite.

„Dann mach die leere Dose voll und ab durch die Bakschischkanone. Achtung, Richtschütze: verdächtiges Fahrzeug blockiert auf 12 Uhr, ausrichten.“

Ölauges Handy gleitet in die Beintasche. „Das ist einer von unseren Dingos, Chef!“

„Stimmt -  aber was soll die Burnusverkleidung am Heck?“

„Unsere Jungs haben wohl ein paar Wäscheleinen abgeräumt…“

„Und nicht ein einziger Burkini dabei.  Müller II, Handgranaten hierlassen und Kontakt herstellen!“

 

Ich checke aus. Vor dem Dingo stehen weitere Fahrzeuge. Der Fahrer lässt die Scheibe runter. Es ist laut. „Sprengfalle?“ schreie ich.

„Nee, Sackgasse“, schreit er über Rammstein zurück. „Alle verfranst wegen der Scheiß-Beschilderung in diesem Kaff. Geht nicht vor und zurück!“

 

„Rückzug, Müller II“, befiehlt KBN. Der GröFaZ wird ungeduldig.

Immer die Häuser im Blick, trifft mich eine lauwarme Red Bull Dose aus der Bakschischkanone. Ich bin angepisst. Der Feind lauert überall. Kaum zurück, setzt Schumi den Marder im Rückwärtsgang durch die Gassen und schrammt verdächtig nah an rissigen Gebäuden vorüber. Die Milchbar taucht wieder auf und starrt zurück.

 

Kara Ben Nemsi ist in tiefe Nachdenklichkeit verfallen. Einsilbig gibt er Schumi Anweisungen, andere Routen auszuprobieren. Ölauge simmst seiner Freundin und wer weiß, wem noch.

Wir sehnen uns alle nach innerem Frieden, einem Stück Heimat, auf dem wir uns ausruhen können oder zumindest der Illusion von geschlossenen Augenlidern, hinter denen wir die anderen nicht mehr sehen müssen. Kabul haben wir uns nicht ausgesucht, weder zum Feierabend noch zum Sterben. Aber wir sind hier, wir müssen da durch, und dann erst dürfen wir irgendwann nach  Hause, mit unseren Sorgen, unseren Erfahrungen, unseren posttraumatischen Belastungsstörungen. Wir brauchen keine Landserhefte. Wenn wir nach Hause kommen, wollen wir endlich die Freiheit, die wir am Hindukusch verteidigt haben. Wir wollen sie anfassen, riechen, schmecken und küssen. Wir wollen uns damit einreiben lassen oder im Wohnzimmer an den Nagel hängen.

 

An diesem Nachmittag haben wir Glück. Kara Ben Nemsi findet über sein privates GPS zum Darulaman zurück. Am heruntergekommenen Palast orientieren wir uns Richtung Camp Whorehouse. Unsere französischen Erzfreunde wissen, was gut ist. Ein Tag in Kabul. Bon voyage de retour.

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