Lücken und Gold

von Peter Sorry

Es gibt Momente, die schreien nach einer Entscheidung. Vor allem, wenn alles Vorherige für die Katz war. Rechts oder links, oben oder unten. Sie zum Beispiel. Wie? Sie verbitten sich diese Vertraulichkeiten? Kann mir gleich sein. Ich bin Kölner. Jedenfalls bis vor kurzem. Den Dialekt hab ich in Köln gelassen.

War mit dem Bandbus unterwegs. Alles Skinheads zum Konzert nach Bochum. Und ich wette, Sie verstehen was anderes unter „Konzert“. Nie gehört von VORSTUFE?  Geile Hunde, die Fans fliegen drauf.

Sogar Mädchen. Scharfe eng verschnürte Luder mit saugstarken Mündern, die einen anlächeln, wenn man so tut, als ob man berühmt werden will und nicht extrem deformiert aussieht.

 

Aber hier kommt die Realität, und die Provinz öffnet für uns ihren Rachen. Germany ist ein Auswanderungsland.

 

Wir stehen vor einem dieser gruftigen, ungelüfteten Bunker mit dem Flair öffentlicher Bedürfnisanstalten. Der Anblick wirkt so ernüchternd auf die Jungs, dass sie sich erst wieder in Stimmung saufen müssen.

Bands sind zur Volksseuche geworden. Jeder fühlt sich berufen. Tom und Beate, Tim und Struppi. Tausende und Abertausende, die organisierten Lärm erzeugen. Was sie von z.B. Bauarbeitern unterscheidet? Der Mythos.

Bei Gründung der Band war ich Sänger. Jetzt bin ich Roadie und verkabel die Verstärker. 

Dann beteilige ich mich an dieser Szene-Inzest-Nummer.

20 Zuschauer, davon die Hälfte auf Eintritt, die andere auf Speed.

Wir heizen unser Programm runter. Zugegeben, ohne Meute ist das öde. Die Veranstalter haben zwar plakatiert, aber dies hat die Landflucht der Eingeborenen eher gefördert, woll.

 

Nach der Party lege ich mich zur Entlüftung aufs gläserne Vordach. Als ich morgens zum Wecken in den verqualmten Laden steige, ist keiner mehr da. Der Bus ist ohne mich abgehauen. Kölner Humor.

Ich nehm mir den Basie vom Tresen und schlag sämtliche Spiegel ein. Dann steh ich mit ´m halbvollen Bier auf der Straße.

 

Totes Kaff. Bloß ein Liniendampfer, fährt über Wattenscheid. Kurzer Sprint ins Heck. Bin jetzt nicht ansprechbar.

Draußen rumpelt eine Aneinanderreihung toter Käffer vorbei. Meine alte Heimat. Gibt immer eine Menge Gründe, irgendwo abzuhauen, aber nur einen einzigen, um irgendwann zurückzureisen und sich die Szenerie wieder vorzuführen: Sentimentalität.

 

Immer noch vormittags, als ich aussteige. Der Kiosk hat jetzt Außenstammtisch. Die üblichen Figuren mit der Lizenz zum Zeitvergeuden. Ich grabe nach Kleingeld. Harry Lehmanns Sohn starrt durch mich hindurch. Ohne den Kiosk hätte ich ihn auch nicht erkannt. Die Blicke dieser Leute sind keine Ferne mehr gewohnt.

 

Ach nee, sag ich laut, hier isses aber schwer, sein Geld zu verballern.

Wat? fragt der Polier. Ein alter Schlesier, der tagsüber Pollacken tyrannisiert und mit seiner Zigarre angibt. Für die zwei Hungerhaken daneben ist er ein König.

Lust auf ´n Spielchen? will ich wissen und leg meine fette leere Brieftasche auf den Tisch.

Der Alte brummt in seinen Bart, es klingt wie Bahnhof. Als ich mich rüberbeuge, verstummt er. Die Hungerhaken verpissen sich unauffällig.

Pass auf, sag ich. Da klappt hinter mir ´n Fenster. Ich höre den Akzent von dieser Alten: Lass mir den Bruno in Frieden, der hat dir nix getan, du Verschisst.

Der Polier kriegt Asthma und geht austreten. Ich kippe sein Bier.

Bisse taub, du Nuss? klappert das Fenster.

Ich dreh mich langsam um und erblicke eine uralte Professionelle. Ihre Titten baumeln überm Fensterrahmen wie witzlose Lachsäcke. Die angemalten Lippen entblößen Lücken und Gold.

Was, Junge! Ich bin die Fatima, mich kannst du fragen. Machet dir bei mir schön, ich kann alle Tricks!

Mach dich unsichtbar, grinse ich. Kannst du das auch, du orientalisches Horrorweib?

Sie fängt an zu keifen, und Harry Lehmanns Sohn guckt aus seinem Kabuff. Mach hier keinen Ärger, wir wollen unsere Ruhe.

 

Der Polier erscheint mit Verstärkung. Zwei  junge Griechen. Erst wollen sie mich aushorchen, dann unter den Tisch saufen und zu Gyros verarbeiten. Da sie das Pils und die Kurzen bezahlen, spiele ich mit und erzähl was von einem Skinheadtreffen in Wattenscheid.

Ob meine Kumpels schon mal geblowt hätten? fragen die Griechen einen Kasten Bier später.

Nee, sag ich, sowas machen nur Boneheads vorm Massaker. Aber der fertige Polier wär vielleicht reif für ne Dröhnung.

Die Griechen fühlen sich verarscht und werden handgreiflich. Den Kleineren kann ich mühelos wegtreten, nur der Große gibt mir was auf Nase und Nieren, bevor er den Tisch küsst.

Harry Lehmanns Sohn steckt sein Handy weg und fragt scheinheilig, wisse noch ein trinken? Es riecht nach Blaulicht, also bimmel ich bei Fatima, die vom Fenster aus alles gesehen hat.

Du besoffenen Sauhund, mault die Schabracke und lässt mich in ihren schummrigen Puff. Aber wenigstens hasse die Griechen verjüxt.

Sie ist noch kleiner, als ich dachte, und schiebt mich ins Badezimmer. Besoffen, wie ich bin, hock ich mich aufs parfümierte Klo.

Als die Bullen wieder weg sind, stolziert sie vor mir herum und nennt mir ihre Phantasiepreise.

Französisch oder Griechisch für fuffzich, alles andere achtzig, die ganze Nacht ab 200.

Alles klar, sag ich, aber vorher will ich nur ne anständige Couch zum Ausschlafen.

Das ist doch hier kein Pennerhotel…!

Na und, so besoffen krieg ich keinen hoch, und bei dir sowieso nich.

Da guckt die mich merkwürdig an und meint kleinlaut, naja, für´n Zwanni kannste ins Hinterzimmer aufs Sofa.

Sie zeigt mir das Museumsstück.

 

Aber wenn ein Freier kommt, musst du mucksmäuschenstill sein.

Ich pruste vor Lachen, bis die Federn unter meinem Arsch quietschen.

Wat, wer soll denn hier schon vorbeikommen?

Na, du bist doch auch hier, du nasser Sack!

 

Sie zeigt mir ein Foto von irgendeinem Zuhälter mit gewelltem Haar und blondem Schnäuzer.

Das ist mein Siggi, sagt sie, der hat immer auf mich aufgepasst.

So, wo isser denn, dein Siggi?

 

Sie stellt den Rahmen aufs Fernsehgerät zurück.

Der Siggi ist auf Gran Canaria. Hat sich den Urlaub verdient. Hab 20 Jahre für ihn angeschafft, und er hat mich nie im Stich gelassen.

Und jetzt verbrät er die Kohle, wenn er nicht grad im Knast sitzt, lache ich in das miefige Kissen.

Die Alte knipst das Licht aus.

Eines Tages steht mein Siggi wieder in der Tür, hör ich sie noch, bevor ich wegschnarche.

 

Saufen fördert extremen Mundgeruch. Entweder davon oder vom stickigen Sofa, das mir seinen Milbenkot in die Nüstern pumpt, wache ich auf.

Es muss weit nach Mitternacht sein. Von nebenan höre ich Stimmen. Diese gealterte Hure, wie hieß sie noch mal. Offenbar hat sie Besuch. Kaum zu glauben, ein Freier.

Weingläser klingen, sie lachen,  Krampfaderschenkel werden betatscht.

Plötzlich geht ein Ruck durch die Bude.

Jetzt reden sie Türkisch, schreien sich an. Der Kerl scheint sich über irgendwas aufzuregen, aus der Ficklaune heraus ist die Stimmung ins Groteske gekippt.

Vielleicht ist diese Nummer nur ein Rollenspiel für türkische Stammkunden. Ob Faustschläge ins Gesicht auch dazu gehören?  Na, ich schau lieber mal nach.

 

Musti, Musti, jammert Fatima auf dem Teppich. Der Schnauzbart hat die Hose halb unten, halb die Hand erhoben und fängt schwer an zu keuchen, als ich ihn von der Alten wegzerre. Seine Hand geht zur Brust. Diese Variante des Rollenspiels ist ihm neu, so dass seine geweiteten Augen den Ausdruck der Überraschung beibehalten, während er stirbt. Herzinfarkt.

 

Du Mörder! Das war mein Bruder, du hast ihn umgebracht!

Fatima zieht den Rock herunter und rüttelt melodramatisch an der Leiche.

Wie jetzt, dieser Kunde da war dein eigener Bruder?

 

Ja, mein Bruder Mustafa! Wir haben uns vor 30 Jahren aus den Augen verloren. Heute Abend war ihm nach einem türkischen Nümmerchen. Reiner Zufall, dass wir uns wieder erkannt haben. Da ist er ausgeflippt und wollte die Familienehre retten.

 

Der wäre besser nach Gran Canaria geflogen.

 

Du hast ihn auf dem Gewissen, du deutsches Schwein!

 

Ich hab ihn von dir runter gezogen, aber das hat ihn nicht umgebracht. Der ist eher am Erstaunen über den schlechten Zustand seiner Pumpe krepiert, der fette Hammel.

 

Fatima sieht mich an.

Wir müssen ihn wegschaffen. Kannst du fahren? Sein Wagen parkt vorm Haus.

Sie durchsucht die Leiche nach Brieftasche und Schlüsseln.

Warum meldest du das nicht einfach als Betriebsunfall? Der Kerl kam immerhin als Kunde.

 

Klar, höhnt die Alte. Und dann geht es los: Mein Geschäft fliegt auf, meine anderen Brüder finden mich und bringen mich um.

Am besten alles noch inne Bild-Zeitung. Ehrenmord erster Klasse.

 

Ich dreh mich zur Tür. Nee, Fatima. Gute Heimreise.

 

Nix da, du musst mir helfen. Ohne dich würde mein Bruder noch leben, woll. Du hängst mit drin.

 

Na Scheiße, sage ich und nehme einen Schluck aus Mustafas Weinglas, um meine Bierfahne zu verdecken. Dann pack ich mir den Hammel und trag ihn zum Wagen. Die Nutte schließt auf und klettert nach hinten. So hält sie die Leiche vorne aufrecht.

Die Nachbarschaft liegt im Vorstadt-Koma. Wir rollen erstmal ein Stück den Berg runter, bevor ich den Motor anwerfe.

 

Gib ihm ne Kippe, falls die Bullen auftauchen, damit sie ihn für einen Besoffenen halten.

Bieg jetzt ab, sagt sie, da vorne ist ´ne stillgelegte Zeche, da werden wir ihn los.

 

Bist ja ziemlich schnell drüber weg, Fatima.

 

Hat mich geschlagen und Nutte genannt, der Mistkerl. Mir ist wieder eingefallen, warum ich damals türmte.

 

Mustafa hat sich an seine Rolle als Besoffener gewöhnt. Gemeinsam schleifen wir ihn vom Parkplatz zur Baracke am alten Förderturm und kippen den schweren Flegel ins Loch. Gretel wirft  Gestrüpp hinterher, und die Familienehre ist wieder hergestellt.

 

Der Tank ist noch halbvoll, sagt sie, als wir auf die Autobahn schaukeln. Auch das Geld aus der Brieftasche könnte `ne Weile reichen.

 

Im Dunkeln kann man sich vielleicht an dich gewöhnen, Fatima.

Wenn du an deinem Geruch noch was arbeitest.

 

Mein Geruch, regt sie sich auf. Du hast dich noch kein einziges Mal gewaschen, seit ich dich kenne. Du Alkoholika.

Um die Zeit ist auf der Strecke nix los. Nord oder Süd, frage ich das alte Mädchen. Sie zündet sich eine Zigarette an.

 

Immer diese Entscheidungen, sag ich Ihnen. Rechts oder links, oben oder unten, schlau oder blöd.

 

Gib einfach Gas, sagt sie und beugt sich tief zu mir rüber. Dabei  gibt sie sich Mühe. Zwischendurch zieht sie an ihrer Kippe, bis mir der Hosenstall qualmt. Oi. Ich schätze, wir sind das beste Beispiel deutsch-türkischer Integrationsarbeit, das gerade durch die Nacht über die Autobahn geistert.

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